Hessische Nichtraucherschutznovelle: Inkonsequent und ambitionslos!
Das seit 2007 geltende hessische Nichtraucherschutzgesetz weißt eine interessante Eigenheit auf. Es ist zeitlich begrenzt angelegt und läuft Ende diesen Jahres aus. Ziel der Zeitbegrenzung war es, Gesetze besser evaluieren und ggf. anpassen zu können. Es wäre also die große Chance, den hessischen Nichtraucherschutz auf den Prüfstand zu stellen und an entscheidenden Punkten und auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse nachzuschärfen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse dürfen nicht länger geleugnet werden
In den aktuellen Plänen der schwarz-grünen Landesregierung ist davon jedoch wenig zu spüren. In der ersten Lesung zum Gesetzentwurf sprach Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne) zwar vom Nichtraucherschutz als eine „echte zivilisatorischen Errungenschaft“, bei diesem Lippenbekenntnis blieb es jedoch auch. Die hessische CDU zeigte sich noch zurückhaltender. Kritik kam von der Opposition, vor allem von der Linksfraktion. Doch auch die hätte wesentlich schärfer ausfallen müssen in Anbetracht des schwachen Gesetzentwurfs. Selbstverständlich unterstützen wir einige Punkte der geplanten Gesetzesänderung. Dazu zählt das Rauchverbot auf Spielplätzen, in Festzelten und die Einbeziehung von E-Zigaretten bzw. Tabakerhitzern. Auffällig ist jedoch, dass alle diese drei Maßnahmen (mehr Fortschritt lässt sich leider im Entwurf nicht erkennen) harmloser kaum sein dürften. Es ist das absolute Minimum, was eigentlich schon seit vielen Jahren überfällig ist. Kontrovers wäre es eher gewesen, wenn die Regierung auf diese Neuerungen verzichtet hätte.
Kinder und Angestellte müssen besser geschützt werden
In anderen Bereichen, wo der Nutzen insgesamt viel größer wäre, bleibt allerdings alles beim (schlechten) Alten. Von einer wirklichen Verbesserung des Nichtraucherschutz (mit Ausnahme der Kinderspielplätze) kann eigentlich kaum die Rede sein. Offenbar hält die Landesregierung Kinder und Angestellte nur in eng umgrenzten Bereichen für schutzbedürftig. Während Arbeitnehmer:innen nun zumindest nicht mehr in verrauchten Festzelten arbeiten müssen, so sollen sie genau das in der verrauchten Eckkneipe weiterhin tun. Gleiches gilt für Kinder, für die der Schutz offenbar beim Spielplatzzaun endet. Dass Kinder auch auf der Restaurantterrasse oder auf dem Sportplatz ständig zugequalmt werden, scheint die Verantwortlichen wenig zu stören. Nicht einmal die Innenräume der Gaststätten (einschließlich Spielhallen) sollen rauchfrei werden – obwohl das eine absolut überfällige Maßnahme wäre, die seit Jahrzehnten unermüdlich von der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und vielen anderen Institutionen, wie z.B. die WHO oder die EU, gefordert wird. Die erheblichen Gesundheitsschäden des Passivrauchens, die vor allem (aber nicht nur) in Innenräumen auftreten, sind seit über 40 Jahren bekannt. Schon 1974 stellte die Bundesregierung, genauer gesagt die damalige Bundesgesundheitsministerin Katharina Focke (SPD), fest:
„Es wäre unverantwortlich, wenn solange gewartet würde, bis tatsächlich eine ‚Strecke‘ an Kranken, Erwerbsunfähigen und Toten vorgewiesen werden kann, die dem Passivrauchen zum Opfer gefallen sind.“
Die hessische Landesregierung, einschließlich Gesundheitsminister Kai Klose (wohl gemerkt für die Gesundheit der Bürger:innen zuständig!) scheint sich an die passivrauchbedingten Kranken und Toten gewöhnt zu haben. Als Antwort auf die Kritik der Linksfraktion, die Novelle sei nicht nur kein „großer Wurf“, sondern würde zudem die Ideale der Grünen verraten, antwortete Marcus Bocklet (gesundheitspolitischer Sprecher der hessischen Grünen), dass man seine Meinung (also das Eintreten für ein absolutes Rauchverbot) ja auch korrigieren könne: „Es ist gelungen, in Ruhe ein gesundes Leben zu führen.“ Das geänderte Gesetz sei „im Kern die Wiedergabe des gesellschaftlichen Konsenses.“
Strenger Nichtraucherschutz ist schon lange gesellschaftlicher Konsens
Die Auffassung von Herrn Bocklet ist schon sehr erstaunlich, denn sie schätzt die Meinung in der Bevölkerung nicht nur in grober Weise falsch ein, sondern sie verleugnet auch die Leidensrealität all jener, die tagtäglich von der Schädigung und den gesellschaftlichen Ausgrenzungen im Zusammenhang mit dem Passivrauchen betroffen sind. Allein in Deutschland sterben laut Deutschem Krebsforschungszentrum pro Jahr über 3300 Nichtraucherinnen und Nichtraucher am Passivrauchen. Würde man die Todesopfer unter den Raucher:innen noch hinzuzählen, dann wären es sogar über 14.300 Todesopfer. Gerade in Zeiten der Pandemie, wo uns allen nochmals die hohe Bedeutung unserer Gesundheit vor Augen geführt wurde, halten wir es für erschreckend ambitionslos und inkonsequent auf eine echte Verbesserung des Nichtraucherschutzes zu verzichten. Während in Klassenzimmern und Büros teure Luftfilter zur Reduktion der Virenbelastung eingesetzt werden (ohne Zweifel sinnvoll), sollen die Menschen in Hessen weiterhin in verrauchten Räumen sitzen und arbeiten. Das passt nicht zusammen und zeigt in exemplarischer Art und Weise, wie sehr die Ausnahmeregelungen der Gastronomie (verrauchte Kleingastronomie und Raucherräume) aus der Zeit gefallen sind. Verrauchte Innenräume sind mit hunderten Schadstoffen (Feinstaub, Blei, Arsen, Polonium, Teer, etc.) gefüllt. Grenzwerte für gefährliche Feinstäube werden um ein Vielfaches überschritten. Jeder Atemzug in dieser Umgebung schadet der Gesundheit. Nirgendswo sonst würde man ein derartiges Ausmaß an Luftverschmutzung tolerieren.
Historisch falsche Entscheidung muss korrigiert werden
Bei den Ausnahmen vom Rauchverbot für die Gastronomie handelt sich um einen historisch falschen Pfad, der damals aufgrund der aggressiven Einflussnahme der Tabakindustrie sowie ihrer Verbündeter in der Gastronomie (insbesondere dem DEHOGA) eingeschlagen wurde. Im Jahr 2021 wäre nun die große Gelegenheit diesen historischen Fehler ein für allemal zu korrigieren und damit der Gesundheit der hessischen Bevölkerung einen großen Gefallen zu erweisen. In Hessen rauchen gerade einmal noch rund 21 Prozent der Erwachsenen. Warum gestaltet die Landesregierung also nicht endlich eine Politik zugunsten der große nichtrauchende Mehrheit der Bevölkerung? Wovor hat sie Angst? Das Deutsche Krebsforschungszentrum hat längst gezeigt, dass es für ein absolutes Rauchverbot in der Gastronomie große Mehrheiten gibt. 2013 lag die Zustimmung für rauchfreie Gaststätten bei 81 Prozent (einschließlich knapp 60 Prozent der Raucher:innen!). Mittlerweile dürfe sie aufgrund der stetig sinkenden Rauchquoten sogar noch höher sein. Die Politik darf sich nicht mehr länger von einer kleinen Minderheit rücksichtsloser Raucher:innen (die in der Regel zwar sehr laut auftreten, aber zahlenmäßig absolut vernachlässigbar sind) davon abhalten lassen, eine wissenschaftsbasierte und menschenrechtsorientierte Tabakkontrollpolitik zu betreiben.
Die große Chance für ein Gesetz auf der Höhe der Zeit
Gerade erst im Mai haben rund 50 Organisationen aus der Wissenschaft und Zivilgesellschaft unter Federführung des Deutschen Krebsforschungszentrum eine Strategie für ein rauchfreies/tabakfreies Deutschland im Jahr 2040 vorgestellt. Darin wird u.a. auch ein absolutes Rauchverbot für Innenräume bis spätestens 2024 gefordert (was reichlich spät wäre). Hessen muss jetzt mit gutem Beispiel vorangehen und die Tür zur Zukunft aufschlagen. Die derzeitige Novellierung bietet die große Chance ein wirklich zukunftsfähiges Gesetz, das die legitimen Gesundheits- und Selbstbestimmungsinteressen der Menschen respektiert und unterstützt, auf den Weg zu bringen. Durch die Miteinbeziehung von Außenbereichen (Biergärten, Freibäder, Parks, etc.) könnte die hessische Landesregierung zudem mit gutem Vorbild voranschreiten und den Weg für andere Bundeländer ebnen – die ohne Zweifel folgen werden. 2019 hatte schließlich bereits der baden-württembergische Gesundheitsminister, Manfred Lucha (ebenfalls Grüne), offen über eine rauchfreie Außengastronomie nachgedacht. Es wäre höchste Zeit! In anderen Ländern, wie Schweden, Kanada oder Australien, ist es längst Realität.
Wir fordern:
- Die Streichung aller Ausnahmen und Lücken aus dem Nichtraucherschutzgesetz und damit die Anhebung des Schutzniveaus mindestens auf die erfolgreichen Beispiele NRW, Saarland und Bayern.
- Schaffung von rauchfreien Außenbereichen, überall dort wo Menschen schwer ausweichen können: Außengastronomie (Terrassen, Biergärten, etc.), Freibäder, Fußballstadien (und andere Sportstätten unter freiem Himmel), Openair-Kinos (und andere Kulturstätten unter freiem Himmel) sowie Eingangsbereiche von öffentlichen Gebäuden.
- Darüber hinaus sollte ein Rauchverbot nicht nur auf dem Spielplatz an sich gelten, sondern auch in einer Schutzzone von 10 Metern drumherum.
- Aus Gründen des Umweltschutzes und der Verhinderung von Waldbränden fordern wir darüber hinaus ein flächendeckendes Rauchverbot für Parks, Grünanlagen, Wald- und Naturschutzgebiete.
- Die konsequente Durchsetzung von Rauchverboten mithilfe hoher Bußgelder und ggf. der Entzug der Betriebserlaubnis. Für Betriebe muss ein Bußgeld von bis zu 20.000 Euro gelten. Nur so kann eine Umsetzung gewährleistet und die Kontrollbehörden entlastet werden.
Weitere Informationen:
Frankfurter Rundschau (2021) – Hessen will Rauchverbot für Spielplätze
FNP (2021) – Hessen will Rauchen auf Spielplätzen und in Festzelten verbieten
Hessenschau (2021) – Hessen will Rauchen und Dampfen auf Spielplätzen verbieten